Wenn Kinder sich fürchten

Zu diesem wichtigen Problem haben wir Sie vor einiger Zeit zu unserem Themenabend „Was glaubst Du, was kann helfen?“ am 18.11.2014 eingeladen.

Wenn Sie diesen Abend verpasst haben, oder noch mal etwas nachlesen möchten, finden Sie nachfolgend ein Interview, welches die Glocke-Mitarbeiterin Anja Tenbrock mit unserer Referentin Kirsten Rolf führte.
Dieses Interview erschien in der Ausgabe der Tageszeitung „Die Glocke“ vom 15.11.2014:

Wenn Kinder sich fürchten

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Das erste Fremdeln, die Trennung von den Eltern am Morgen im Kindergarten oder in der Schule, Angst vor der Dunkelheit oder davor, alleine ins Bett zu gehen – Ängste begleiten Kinder in jedem Alter. Eltern stehen häufig vor der Frage, wie sie damit umgehen sollen. Die „Glocke“ sprach darüber mit der Warendorfer Familientherapeutin und Pädagogin Kirsten Rolf.

 

 

Wichtig ist es, dass „die Eltern sicher und unterstützend mit ihren Kindern umgehen, auch wenn sie Angst zeigen“, betont Kirsten Rolf. Kindliche Ängste gehen oft mit neuen Bewältigungsaufgaben einher, die das Kind in seiner Entwicklung meistert.

„Die Glocke“: Wie zeigt sich Angst?

Kirsten Rolf: Es gibt drei Ebenen, auf denen sich Angst zeigen kann: in körperlichen Reaktionen – Schwitzen, Zittern, Bauchschmerzen –, mental – denken, es passiert etwas Schlimmes, andere werden über mich lachen – und im vermeidenden Verhalten – Weinen, Rückzug, aggressives Verhalten.

„Die Glocke“: Welchen Sinn hat Angst?

Kirsten Rolf: Angst ist ein universelles Phänomen. Sie tritt in jedem Alter und in allen Kulturen auf. Zunächst einmal ist sie ein vom Instinkt geleitetes Verhalten, das Sinn macht. Angst führt zum Beispiel dazu, wachsam zu sein, sie dient als Schutz und zur Abgrenzung. Das ist die positive Seite der Angst. Wenn aber das Leben nur noch von Ängsten beherrscht wird, mit körperlichen Beschwerden einhergeht, dauerhaft zu Rückzug oder einem Vermeidungsverhalten in bestimmten Situationen führt, dann können sich Angststörungen entwickeln.

„Die Glocke“: In welchen Situationen haben Kinder Angst?

Kirsten Rolf: Angst ist ein Entwicklungsbegleiter im Leben der Kinder. Das heißt, Angst gehört zum Wachstums- und Reifeprozess dazu: Das Krabbelkind erschrickt, wenn es sich von der Mutter zu weit entfernt. Das Kita-Kind fragt sich, kommt Mama nie wieder? Der Fünfjährige wird ängstlich, wenn es dunkel ist. Trennungs- und Dunkelangst sind typische Entwicklungsschritte. Im Schulalter kann Leistungsangst dazukommen. Entscheidend ist, dass sich keine Versagensängste manifestieren. Angst kann außerdem durch beobachtende Erfahrungen von anderen, zum Beispiel durch Vorleben der Eltern, übernommen werden.

„Die Glocke“: Welche negativen Auswirkungen kann Angst bei Kindern haben?

Kirsten Rolf: Wenn Angst das Leben des Kindes dominiert, das Vermeidungsverhalten gegenüber bestimmten Situationen – etwa nicht mehr in die Schule zu gehen wollen oder Gruppensituationen konsequent zu meiden – extrem ausgeprägt ist und das Selbstwertgefühl sinkt, dann können sich Ängste leidvoll festigen. Der Alltag des Kindes ist sehr beeinträchtigt. Wenn körperliche Beschwerden dazukommen, die über das übliche Maß hinausgehen, sollten sich Eltern Rat holen.

Auf die Stärken besinnen

 

„Die Glocke“: Wie sollen sich Eltern verhalten, wenn ihr Kind Angst hat?

Kirsten Rolf: Vorsicht vor demütigenden Erfahrungen, denn sie können Angstzustände der Kinder verstärken: Wenn das Kind wegen seiner Angst bloßgestellt wird, zum Beispiel durch Aussagen wie „in deinem Alter hat man keine Angst mehr“, oder „du bist doch ein Angsthase“. Eltern stoßen immer wieder an ihre Grenzen, mit den Ängsten ihrer Kinder umzugehen. Nicht immer fällt es leicht, geduldig und handlungsfähig zu bleiben. Die jeweiligen Ängste des Nachwuchses sollten ernst genommen werden. Keinesfalls sollten sie bagatellisiert werden. Hilfreich ist auch, sich immer wieder auch auf die Stärken des Kindes zu besinnen. Reflektieren sollten Eltern ferner, ob sie das Entstehen von Ängsten begünstigen, weil sie überfürsorglich sind: Ein Kind kann kein Selbstvertrauen entwickeln, wenn es nie Gelegenheit hat, Dinge selbst in die Hand zu nehmen. So kann es nie herausfinden, wie es sein Handeln selbst steuern kann.

„Die Glocke“: Wo finden Eltern Hilfe?

Kirsten Rolf: Wenn Eltern merken, dass das Angstverhalten ihrer Kinder chronisch ist und seit Monaten andauert, sollten sie sich jemandem anvertrauen. Das können Bezugspersonen wie Erzieher oder Lehrer sein. Erziehungsberatungsstellen, Kinder- und Jugendpsychologen oder die Angstambulanz des Fachbereichs Psychologie der Uni-Klinik Münster für Heranwachsende und Erwachsene bieten Hilfe.